Ich träume, also bin ich
Seit ich denken kann, träume ich des Nachts – oder genauer: kann mich beim Aufwachen an einen, manchmal an mehrere Träume erinnern. Denn träumen tun wir alle, auch Tiere. Das weiss ich verlässlich von meinen drei bisherigen Hunden. Rocky, mein aktueller treuer Mischlingshund, rockt im Schlaf eine ganze Oktave mit unterdrückten Bell-Lauten durch. Nach fünf Jahrzehnten Traumerfahrung will ich nun tiefer gehen – und bin doch etwas verunsichert, gleich eine ganze Kurswoche gebucht zu haben. Es ist tiefer November, neblig, kalt, und auf dem Programm steht Zen, Traumarbeit und luzides Träumen. Was genau soll luzides Träumen sein? Kann ich das, will ich das? Traumforscher und Zen-Lehrer Peter Widmer empfängt uns in der alten Villa mit einem Lächeln. 16 Kursteilnehmende lächeln zurück und begeben sich ins Abenteuer.
Meditation fördet den Traumschlaf
Schnell wird klar, warum Peter Widmer – ein intensiver Träumer, wie er sagt – die Kurswoche mit Zen-Meditation kombiniert, in die auch die Zen-Neulinge der Gruppe schnell hineinfinden: Meditation erhöht den Serotoninspiegel, fördert den Tiefschlaf und sorgt für mehr REM-Schlaf, also Traumschlaf. Das belegen Studien, das sind auch unsere Erfahrungen. Die Tage beginnen und enden mit Zen, dazwischen pendeln wir zwischen Input, Austausch, Schweigen und Zeiten für uns – welch Luxus. Wann bin ich das letzte Mal nur mit mir auf eine Hügelkuppe gestiegen, habe die Nebelgrenze durchbrochen und mir Übersicht verschafft?
Mit klarem Kopf laufe ich zurück nach Bad Schönbrunn, in die nächste Input-Runde. Peter Widmer lässt sich inspirieren von unseren Fragen und kann aus dem Vollen schöpfen: Wir gehen im Lauf der Woche die Neurologie, die Chemie der Träume durch, lernen die grossen spirituellen Träumer des Okzidents und Orients kennen, erfahren neue Forschungsergebnisse, erhalten Hinweise für die Entschlüsselung unserer Träume. Ich höre zum ersten Mal, dass all die Menschen und Tiere in meinen Träumen immer auch ich selbst sein könnte als Teilpersönlichkeit. Interessant. Weiteres weiss ich und kann es nun verankern, etwa dass Träume im Hirnstamm, im ältesten Teil des Gehirns zu Hause sind und Omega-3-Fettsäuren und Vitamin B 6 die Traumerinnerung unterstützen. Träume sind also doch nur Schäume, ein gut gemixter Chemie-Cocktail? Peter Widmer lächelt in sich hinein. «Jeder Traum ist eine existenzielle Botschaft», sagt er, «ich habe grosse Demut vor jedem Traum.»
Von der Darstellerin zur Regisseurin meiner Träume
Schritt für Schritt nähern wir uns dem luziden Träumen – den Klarträumen, in denen wir feststellen, dass wir träumen. Traumforscher unterschieden verschiedene Stufen. Grob gesagt beginnt es mit das ist ja nur ein Traum, führt weiter zu ich könnte eingreifen und den Traum ändern und endet bei ich bin die Regisseurin und mache die nächste Türe selber auf. Was uns wohl dort erwartet?
Soweit bin ich noch nie vorgestossen. Aber schon oft war mir bewusst, «nur» zu träumen. Immer wieder kann ich des Nachts auch fliegen, wenn ich denn wirklich will. Das ist traumhaft leicht: Man beginnt mit einem Hüpfer, legt die Arme an den Körper, streckt den Kopf, schwebt über Grund, nimmt Geschwindigkeit auf – die Gruppe lacht. So einfach ist es offenbar nicht für alle. Dafür fällt es einigen leicht, entlang von Träumen Kernthemen ihres Lebens zu erkennen. Wir unterstützen uns, fassen verschwiegenes Vertrauen, erzählen uns den einen und anderen existentiell wichtigen Traum. Und hoffen inständig, in der nächsten Nacht am Traum-Script mitarbeiten zu dürfen, Türen aufzustossen, anvisierte Menschen zu treffen. «Vergesst nicht, sie zu fragen, was ihr von ihnen wissen wollt» sagt Peter Widmer und verabschiedet uns mit einem Lächeln in die Nacht.
Pia Seiler
Zen, Traumarbeit und luzides Träumen - Unser Angebot im Lassalle-Haus