Vom Schweigen und vom Zuspruch der Religion in Pandemie-Zeiten
Liebe Leserinnen, liebe Leser, ich beginne mit der Predigt eines Mitbruders:
„Liebe Schwestern und Brüder, seit ein paar Monaten seid Ihr im Unglück wegen der Pandemie, Liebe Schwestern und Brüder, Ihr habt es verdient ...
Das erste Mal in der Geschichte tritt diese Geisel in Ägypten auf, um die Feinde Gottes heimzusuchen. Der Pharao widersetzt sich den Plänen des Ewigen, die Israeliten ziehen zu lassen und darauf zwingt die Pandemie ihn auf die Knie. Seit allem Anbeginn der Geschichte wirft die Geissel Gottes die Hoffärtigen und die Verblendeten zu seinen Füssen nieder. Bedenkt dies und fallt auf die Knie …
Vielleicht haben sie ihn erkannt, den Jesuiten Pater Paneloux, der diese Strafpredigt den Bürgern von Oran hielt, als gerade in dieser algerischen Stadt die Pest ausgebrochen war. Albert Camus hat sie in seinem Roman die Pest dem Jesuiten in den Mund gelegt.
Würden wir heute solch eine Predigt hören, wir würden den Kopf schütteln. So einfach ist es auch für uns Christen nicht mehr, das Übel in der Welt einfach als Strafe Gottes zu interpretieren. Unser Glaubensverständnis und Glaubensgefühl hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend geändert. Das hat mit der Theodizee Frage zu tun. Mit der Frage, woher das Böse oder das Übel in der Welt kommt. Es war eine gelehrte Diskussion, die begann, anlässlich des Erdbebens, das ganz Lissabons 1755 zerstörte. Nach wie vor gilt dieses Ereignis als die grösste Naturkatastrophe in der Geschichte Europas. Schon damals zweifelten Theologen, dass diese riesige Zerstörung, die Gerechte wie Ungerechte getötet hat, eine Strafaktion Gottes sein kann.
Und dies gilt natürlich auch für die Corona Pandemie in unseren Tagen. Viele haben das Schweigen der Kirchen in den vergangenen Monaten getadelt. Man muss jedoch nüchtern festhalten, dass es - in dieser Hinsicht wohlgemerkt - auch für Christen nicht viel zu sagen gibt. Warum trifft uns die Pandemie? Auch wir Christen wissen es nicht.
Interessant der Blick auf die Heilungsgeschichten im Evangelium. Jesus fällt es nicht ein, den Kranken zunächst einmal die Leviten zu lesen. Dem Aussätzigen wird nicht nahegelegt, dass sein Aussatz ja wohl seinen Grund haben müsse in seinem Lebenswandel. Im Gegenteil: Jesus lässt sich vom Vertrauen und von der Bitte der Kranken berühren und heilt sie. Nicht der moralische Lebenswandel ist ausschlaggebend für die Heilung, sondern die Beziehung zu Christus und in dieser Beziehung kann Heil und Heilung geschehen.
Die christliche Antwort auf Krankheit und Leiden ist einmal das Beziehungsangebot Gottes. Aber wie öffnen wir uns für diese Beziehung?
Klassischer Weise gibt es da drei Grunderfahrungen, die in unserem Lassalle-Haus im Zentrum stehen: Die Stille, das Gebet und die Eucharistie.
Zwangsläufig ist es ja stiller geworden um uns durch den Lockdown, den wir erleiden und von dem wir alle genug haben. Vielleicht die Einladung, abends einmal nicht den Fernseher einzuschalten, sondern eher Musik aufzulegen. Der Musik zu lauschen, in uns hineinzulauschen. Und es still werden lassen in uns.
Die Stille kann uns wie vorbereiten für das Gebet. Dass wir wie ins Gespräch kommen mit diesem Gott des Lebens. Dass wir in eigenen Worten zusammenfassen, wofür wir in diesen Tagen dankbar sind. Aber auch unsere Sehnsucht und unsere Not ins Wort fassen. Menschen mit hineinnehmen in unser Gebet. Menschen, die wir lieben, aber auch Menschen, die uns zu tragen geben.
Und schliesslich die Eucharistie. Der lebensspendende Gott begegnet uns in diesen Gaben von Brot und Wein. Und diese sinnliche Erfahrung, das Schmecken des Brotes, kann uns wie vergewissern, dass unser Glaube, unsere Gemeinschaft mit Gott, kein Hirngespinst ist, sondern ein wirkliche Begegnung.
Eine zweite christliche Antwort auf das Leid ist die tätige Nächstenliebe: Das ist auch die Botschaft des Nichtgläubigen Albert Camus. Die absurde Situation der Pest in Oran erhält nur dann für Camus einen Sinn, wenn die Bürger sich in dieser Situation für den anderen engagieren, um ihr oder sein Leid zu lindern.
Die Fragen von Krankheit und Leiden. Oft haben auch wir Christen für das Warum keine Antwort. Aber wir haben eine Antwort auf das Wie. Wie es gelingen kann durch Krankheit und Leiden hindurchzugehen, indem wir uns immer wieder einladen lassen zu dieser Gemeinschaft mit Gott. Und indem wir uns nicht um uns selbst drehen, sondern uns für das Wohl der anderen engagieren.
Tobias Karcher SJ, Februar 2021
Bild: Bruno Brantschen SJ