04.03.2020 09:51
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Interview mit Wilfried Dettling

Interreligiöser Dialog ist Beziehungspflege

Wilfried Dettling SJ zieht von Dresden, wo er acht Jahre lang das Exerzitienhaus HohenEichen leitete, ins Lassalle-Haus. Hier wird er unter anderem die Tagung «Im Dialog. Christliche und muslimische Spiritualität» vom 29.-31.5.2020 mitleiten. Im Interview erzählt er von seinen Erfahrungen im interreligiösen Dialog.

Wilfried Dettling, Sie sind seit 1989 im Jesuitenorden: worauf blicken Sie nach 31 Jahren zurück?

Auf eine begegnungsreiche, lehrreiche und gottverbundene Zeit. Die Spiritualität meines Ordensgründers, Ignatius von Loyola, hat mir vieles ermöglicht. Ich habe in Deutschland und in Israel/Palästina Bibelschulen gegründet, mit denen wir Menschen einen Zugang zur Heiligen Schrift erschliessen. Ich gebe seit vielen Jahren vor allem kontemplative Exerzitien und begleite Menschen auf ihrem geistlichen Weg. Darüber hinaus habe ich zusammen mit vier Freunden eine Initiative ins Leben gerufen, mit der wir seit zehn Jahren das Caritas Baby Hospital in Bethlehem unterstützen. Wichtig war mir auch der Kontakt zu den nichtchristlichen Religionen und mein Engagement im interreligiösen Dialog. Ich kann es nicht anders sagen: Was mir in meinem Ordenslebens bisher geschenkt wurde, ist grandios.


Was waren Ihre Erfahrungen mit nichtchristlichen Religionen?

Ich schaue auf etwa 30 Jahre Engagement im interreligiösen Dialog zurück. Während meines Theologiestudiums in London und Oxford hatte ich regelmässig Kontakt zum Leo Baeck College, einer jüdischen Hochschule in London. Auch gab es gute Kontakte zu jüdischen Gemeinden und muslimischen Moscheeverbände, wo ich die religiösen Feste miterleben konnte. Wir haben oft gemeinsam an interreligiösen Gesprächsforen, Tagungen und Workshops teilgenommen. Das war sehr bereichernd. Als ich 1998 nach Deutschland zurückkehrte und an der Katholischen Akademie Rhein Neckar tätig war, wünschte sich der Bischof, dass wir uns im christlich-islamischen Dialog engagieren sollten. Das war eine spannende und sehr interessante Aufgabe. Es ging dabei in erster Linie darum, Hauptamtliche im Umgang mit Muslimen zu schulen – also etwa Pädagogen in den Kindergärten, Pflegepersonal in Spitälern, oder auch um muslimische Seelsorge in Gefängnissen. Ich hatte damals eine Projektstelle zum interreligiösen Dialog initiiert und geleitet mit dem Schwerpunkt der «Christlich-Islamischen Verständigung». Gleichzeitig war ich Islambeauftragter des Bistums Speyer und bei der deutschen Bischofskonferenz in der Arbeitskommission für christlich-islamischen Dialog tätig.


Was braucht es denn für eine gelingende Verständigung zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen?

Im Grunde drei Elemente. Es braucht Kenntnis und Wissen sowohl über die eigene als auch über die andere Religion. Es braucht die Reflexion über Gemeinsamkeiten und Unterschiede unserer Religionen und der jeweiligen Glaubenspraxis. Und – das ist vielleicht das Wichtigste – es braucht die Begegnung: Für einen echten Dialog müssen wir vor allem die konkrete Begegnung mit den Menschen anderen Glaubens suchen, Achtung und Ehrfurcht vor der jeweils anderen Religion aufbringen und die friedlichen Potentiale der Religionen entdecken und heben. Dann kann Dialog wirklich einen spürbaren und positiven Beitrag zur Gestaltung unseres gemeinsamen Lebens leisten. Vereinfacht gesagt: Interreligiöser Dialog ist Beziehungspflege.


Wie hat sich das Projekt weiterentwickelt?

Es entsprach einem echten Bedürfnis: Wir sind mit unserer Arbeit auf viel Offenheit und Dankbarkeit gestossen, alle Betroffenen haben die Annäherung als sehr bereichernd erlebt. Im Laufe der Zeit wurde Vieles selbstverständlich. Gegenseitig haben wir, Christen und Muslime, Anteil genommen am religiösen Leben des jeweils anderen; So wurde ich zum Beispiel jedes Jahr zum Bajram eingeladen, dem Fest am Ende des Ramadan. Der Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 war dann nochmals ein besonderer Einschnitt. Danach war klar, dass das Projekt weitergeführt werden muss – jetzt erst recht.


Ihre Dissertation über die anatolischen Aleviten, eine Glaubensrichtung innerhalb des Islams, hat Sie dann auch nach Istanbul geführt. Was hat Sie an den Aleviten fasziniert?

Das ist eine gute Frage. Dazu vielleicht eine kurze Vorbemerkung: eigentlich bin ich kein grosser Freund von Sinnsprüchen, die ich mir zur Erinnerung an den Spiegel hänge. Merkwürdigerweise trage ich aber bis heute eine kleine Spruchkarte in meinem Geldbeutel, die ich in Istanbul von einem alevitischen Geistlichen bekommen habe. Der Spruch auf der Karte ist von Hadschi Bektash Veli, einem der wichtigsten Heiligen der Aleviten. «Nur wer Gott im Menschen und den Menschen in Gott erblickt ist der Freund der Wahrheit.» Die Aleviten, die ich kenne, versuchen ihr Leben sehr ernsthaft an dieser Weisheit auszurichten. Mich faszinieren diese Menschen. Sie haben ein unglaublich positives Menschen-, Gottes- und Weltbild, das durch eine innere Einheit zwischen Gott und Mensch begründet wird.

Mit den Aleviten – und nicht nur mit ihnen – ins Gespräch zu kommen, woran sie glauben, wie sie glauben und welche Bedeutung ihr Glaube für ihr Leben hat, das hat mich immer fasziniert, persönlich bereichert und, so kann ich sagen, nicht selten meinen eigenen Glauben vertieft.


Was ist Ihnen aus diesen Begegnungen geblieben?

Mir scheint, dass ich die wichtigsten Erfahrungen mit dem Islam und den gläubigen Muslimen in der Zeit gemacht habe, als ich in Istanbul lebte. Wenn bei einer Tasse Tee auf der Dachterrasse der Wohnung meiner Freunde sich unser Blick über die Dächer Istanbuls mit dem Ruf des Muezzins zum Gebet vereinte, dann ist mir oft ein türkisches Sprichwort in den Sinn gekommen: «Eine gemeinsame Tasse Tee schafft 40 Jahre Freundschaft». Wie wahr.


Über die Pfingsttage leiten Sie die Tagung «Im Dialog. Christliche und muslimische Spiritualität» mit. Worauf können sich die Teilnehmenden freuen?

Auf ein hoffentlich nicht ganz alltägliches Wochenende. Begegnung, Austausch und das gemeinsame Hören und Lernen stehen im Zentrum der Tagung. Wir werden die Gelegenheit haben, mit einem christlichen und einer muslimischen Referentin über Möglichkeiten und Grenzen des interreligiösen Dialogs ins Gespräch zu kommen. Wir werden einige mystische Traditionen des Islam kennenlernen, und hören, wie gerade die Mystik eine Brücke für den Dialog sein kann. Wir werden Zeiten in der Stille verbringen, angeregt durch mystische Texte, mit denen wir das Gehörte in uns nachklingen lassen. Darüber hinaus werden wir auch beten und auf Jesus schauen und uns fragen, wie er mit Menschen umging, die nicht zu seiner eigenen Religion gehörten. Ein Höhepunkt der Tagung wird die gemeinsame Feier des Pfingstfestes – das Fest des Heiligen Geistes – sein, sowie ein spirituelles Klangerlebnis am Samstagabend, das die Tagung mit einer ganz besonderen Note bereichern wird.


Auch nach dieser Tagung bleiben Sie dem Lassalle-Haus erhalten: Was wird Ihre Rolle und Aufgabe im Haus sein?

Ich werde in der Bildungsleitung tätig sein und Verantwortung in den Aus- und Weiterbildungsangeboten, den Lehrgängen, übernehmen. Darüber hinaus werde ich Exerzitien und Kontemplationskurse mitbegleiten und bibeltheologische Veranstaltungen anbieten. Hierzu finden im Juni die «Bibeltage» statt, die wir in Kooperation mit der Theodosius Akademie in Hegne (Bodensee) veranstalten.


Und wo werden Sie anzutreffen sein, wenn Sie nicht gerade am Arbeiten sind?

Auf dem Fahrrad oder im Kaffeehaus. Ich bin ein begeisterter Radfahrer und habe bereits in ersten Touren die Gegend um das Lassalle-Haus erkundet: der Raten, Einsiedeln… die Hügeln rund um Zug haben es in sich!


Tagung - Im Dialog. Christlich-Muslimische Spiritualität.


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